Von eingefrorenen Getränken, Todesangst, aber auch grandiosen Ausblicken
Um 3:00 Uhr in der Nacht klingelte der Wecker. Eigentlich ist das überhaupt nicht meine Zeit um wach und fit zu sein. Doch die Vorfreude auf den 4.545 Meter hohen Dom, aber auch die leichte Anspannung, was mich erwarten würde, ließ mich schnell aus dem Bett aufspringen.
Die Domhütte war an diesem Wochenende ausgebucht und viele Mitbergsteiger hatten an diesem Tag das gleiche Ziel. Zum Glück war der Waschraum leer und ich musste nicht Schlange stehen. Als Frau hat man hier meistens bessere Karten. Das Bergsteigen scheint doch tendenziell eher mehr Männer anzulocken - schade eigentlich.
Hinaus in die Dunkelheit
Gestärkt mit Müsli und Marmeladebrot traten wir um 4:00 Uhr hinaus in die Dunkelheit. Der Himmel war sternenklar. Viel Zeit den Sternenhimmel zu bewundern bleib aber nicht, wir hatten noch einiges vor uns.
Im Schein unserer Stirnlampen stiegen wir die Seitenmoräne des Festigletschers hinauf. Vor und hinter uns leuchteten die Lampen der anderen Bergsteiger - ein schönes Bild.
In der Dunkelheit ist es gar nicht so einfach den richtigen Weg zu finden. Spätestens am großen Geröllfeld waren wir froh, den Weg bereits am Vortag bei Tageslicht gegangen zu sein. Einige andere Hochtourengänger kamen etwas vom Weg ab und waren froh, als wir ihnen den Weg wiesen.
Warten unterhalb des Festijochs
Nach ca. 1,5 Stunden kamen wir am Anseilplatz auf dem Festigletscher an. Nach unseren Erkenntnissen des Vortages seilten wir uns gleich an und zogen ebenfalls gleich den Steinschlaghelm auf.
Der Weg über den Gletscher war schnell gefunden und so kamen wir zügig an der Einstiegsstelle unterhalb des Festijochs an. Wie zu erwarten war, stauten sich hier die Seilschaften und es prasselten wieder Steine herab. Wir reihten uns in die Schlange ein und nach einer gewissen Warterei waren wir an der Reihe. Ich betete innerlich, dass die Seilschaften vor uns keine Steine los traten. Wir hatten Glück, die einzelnen Steine die herunter kamen, flogen nicht in unsere Richtung.
Ausfall wegen Kälte
Das Klettern lief gut und schnell waren wir oben am Joch. Hier blies ein bitter kalter Wind. Die Temperaturen waren schon die ganze Zeit eisig, aber ab hier war es noch wesentlich kälter. Die Warterei unterhalb des Festijochs trug auch nicht gerade dazu bei, dass es uns wärmer wurde, im Gegenteil.
Meine Fotokamera und das Handy gaben zwischenzeitlich wegen der Kälte den Geist auf. Das sollte sich während der gesamten Dauer der Tour auch nicht mehr ändern. Vielen Dank an dieser Stelle an Joe, von dem ich ab dieser Stelle die ganzen Fotos bekam.
Auf dem Hohberggletscher
Wir stiegen hinab auf den Hohberggletscher. Wir erkannten zwei Wege - einer führte in einem großen Bogen unterhalb der Gletscherabbrüche entlang. Wir entschieden uns für diesen Weg, auch wenn er etwas weiter wirkte als der andere.
Das Stück über das Gletscherbecken strengte nicht stark an, wohl aber die immer noch anhaltende eisige Kälte. Auch mussten wir wegen der Spalten aufpassen, da das Stück über den Hohbergletscher parallel zu den Spalten verläuft.
Bitterkalt
Mir wurde immer kälter. Meine Finger und Zehen spürte ich schon lange nicht mehr. Immer mal wieder tauten sie kurz durch die Anstrengung auf. Das verursachte aber solche Schmerzen, die kaum auszuhalten waren. Vergleichbar wie wenn man von einer Schneeballschlacht ohne Handschuhe kommt und die Hände unter das heiße Wasser hält, nur noch viel, viel schlimmer.
Alles tat weh und war steif, vor allem der Nacken und die Knie. Selbst beim laufen zitterte ich am ganzen Körper. Während der gesamten Tour hatte ich kein einziges mal Schweißperlen auf der Stirn - das gab es bisher noch nie. Unsere Getränke waren alle eingefroren, daher tranken wir auch viel zu wenig.
Wie lange noch?
Ohne Buff Tuch um Mund und Nase lies es sich nicht aushalten. Der Wind blies ohne Ende und lies mich die Minusgrade deutlich kälter empfinden, als sie vermutlich waren. Mir war in meinem ganzen Leben noch nie so kalt.
Durch meine Erkältung bekam ich eh schon wenig Luft, die Höhe kam auch noch dazu und dann noch diese gefrierende Luft, die einem fast den Atem abschnitt. Meine Lunge stach und ich überlegte mir oft, ob ich sagen soll ich kann nicht mehr und wir gemeinsam abbrechen mussten. Ein bisschen ging noch, dachte ich immer wieder - aber wie lange noch?
Völlig egal
Ich merkte, wie es den anderen auch nicht besser ging. Unser Tempo wurde immer langsamer. Pause machen konnten wir auch nicht, denn sobald man stehen blieb, wurde es noch kälter. Selbst die Sonne wärmte überhaupt nicht.
Der Weg wurde steiler und ausgesetzter. Ein falscher Schritt und wir würden in einer riesigen Spalte landen. Ich konnte nicht mehr klar denken - war das von der Kälte, fragte ich mich, oder war mir das ganze mit der Erkältung doch zu anstrengend? Auf einmal war es mir völlig egal, was weiter passierte. Ich lief einfach, weil es alle taten. Mir war es egal, ob wir oben ankamen oder ob wir jetzt alle in eine Spalte einbrachen. Oh Gott!!! Was denkst du da für einen Schwachsinn, dachte ich im nächsten Moment. Aber kurz darauf war es mir wieder völlig egal.
Gipfel in Sicht
Ich habe keine Ahnung, woher diese komischen Gedanken und dieses völlige Egalsein auf einmal her kam. Das ist sowas von total untypisch für mich. Ich bin eher zielstrebig und vor allem voll auf Sicherheit bedacht. Bei so ziemlich jedem Schritt den ich in den Bergen mache, überlege ich mir krampfhaft, was passieren könnte und entscheide dann, ob ich es wage. Das ist auch oft übertrieben, aber so ist nun mal mein Naturell.
Zum Glück kamen wir auf einmal oben an und sahen das Gipfelkreuz des Doms ca. 40 Meter von uns entfernt.
Keine schwere Entscheidung
"Ich kann keinen Schritt weiter laufen", sagte einer aus unserer Seilschaft. "Ich würde es bis zum Gipfel noch probieren", sagte ein anderer. "Mir ist es egal, ich schließe mich der Mehrheit an", sagte ich.
Überhaupt nicht schweren Herzens traten wir den Rückweg an, ohne Gipfel, der so greifbar nahe war.
Auf den letzten 40 Metern zum Gipfel waren mehrere Seilschaften, die nicht wirklich einen sicheren Eindruck beim hinabsteigen der Flanke machten. Wir hätten warten müssen, um nicht alle in unnötige Gefahr zu bringen. Eine Minute länger warten, in dieser tödlichen Kälte (ich war wirklich am glauben ich sterbe), hätte ich nicht ausgehalten. Außerdem hätten wir nie und nimmer jemanden aus unserer Seilschaft hier zurück lassen können, nicht bei diesen Bedingungen.
Erste Pause
Der Weg hinunter ging zügig. Ich hatte das Gefühl neue Euphorie in jedem von uns zu spüren. Wir wollten raus aus der Kälte und ins Warme, dass war unser gemeinsames Ziel.
Auf dem Hohberggletscher nahmen wir dieses mal den anderen Weg und waren somit etwas schneller am Festijoch. Dort legten wir zum ersten mal um ca. 15 Uhr eine größere Pause ein. Der Wind blies hier nicht ganz so stark, aber kalt war es trotzdem.
Bla, bla, bla
Nach und nach kamen vier weitere Seilschaften auf dem Joch an. Wir kamen ins Gespräch und sagten ihnen, dass wir uns vom Joch abseilen werden. Das hatte gestern gut geklappt und daher werden wir es wieder so machen. Sie fanden das eine gute Idee, hatten aber nur recht kurze Seile dabei. Wir boten an mit unserem 60 Meter Seil aus zu helfen. Irgendwie wurden sich aber alle nicht so richtig einige.
Wir ließen uns bequatschen und gaben allen vier Seilschaften den Vortritt, obwohl wir selbst als erstes an der Reihe gewesen wären. Die einen stiegen heute noch von der Hütte ins Tal ab und mussten Heim fahren, was uns irgendwie Leid tat und wir wollten das sie schnell Heim kamen. Bei der anderen Seilschaft hatte eine keinen Helm dabei und sie sagte wir sollen warten, bis sie komplett unten sei. Die anderen machten durch ihr Gerede den Eindruck, als wären sie schneller als wir und so ging es weiter.
Ich koche vor Wut
Es war echt dumm von uns, allen den Vortritt zu geben. Es stellte sich nämlich heraus, dass viele überhaupt nicht abseilen konnten. Ihr werdet es nicht glauben, aber wir mussten nach unserer 30 minütigen Pause 2,5 Stunden warten, bis die anderen sich abgeseilt hatten. Wir hatten es am Vortag in 30 Minuten hinbekommen!!!
Ich war total wütend - wütend auf diese egoistischen Menschen und natürlich auch auf uns, wie wir uns so blenden lassen konnten. In der Kälte zitternd sahen wir zu, wie sich die Leute im Zeitlupentempo das Joch abseilten.
Zum Glück auch mal Glück
Endlich war es soweit und wir kamen dran. Ohne Probleme seilten wir uns alle ab und liefen im Stechschritt über den Gletscher. Ich hoffte innerlich, dass es dieses mal nicht wieder diese schrecklichen Geräusche auf dem Festigletscher gab. Das hätte mir wirklich den Rest gegeben, am heutigen Tag.
Ich hatte Glück und es war still. Außer unseren im Eis knirschenden Steigeisen, war nichts zu hören.
Späte Ankunft auf der Domhütte
Um Punkt 20 Uhr kamen wir auf der Domhütte an. Ein nettes Mädel vom Hüttenteam empfing uns schon auf der Terrasse. In ihrem netten Schweizer Dialekt fragte sie uns besorgt, ob es uns gut ginge. Wir erzählten ihr kurz, warum wir so lange gebraucht hatten und sie meinte nur "ach seid ihr aber Liebe". Naja, in dem Fall wäre ich lieber nicht lieb gewesen. Aber so ist es nun und wir konnten es eh nicht ändern.
"Geht gleich hoch an den Tisch, wir bringen euch sofort das Essen", sagte sie zu uns. Gesagt getan - die heiße Tomatensuppe tat mega gut. Großen Appetit hatten wir jedoch alle nicht, wir waren viel zu kaputt nach dem langen Tag.
An diesem Abend gönnte ich mir tatsächlich das erste mal auf einer Hochgebirgshütte eine heiße Dusche und es tat unbeschreiblich gut :-)
Fazit:
Die Hochtour zum Dom ist absolut toll und sehr abwechslungsreich. Natürlich ist sie mit ihren ca. 10 Stunden eine extrem lange Tour und somit konditionell fordernd. Man sollte schauen, dass man durch Pausen (oder unnötiges Warten) nicht zu viel Zeit verplempert. Die Tour ist stark frequentiert und es gibt immer wieder Passagen, wo man "Zwangs-Wartezeiten" einplanen muss. Zu beachten sind die zahlreichen Spalten. Bei uns hielten die Schneebrücken noch sehr gut, aber es war auch extrem kalt. Bei wärmeren Temperaturen wird es auf jeden Fall gefährlicher.
Ich denke was mich so unheimlich geschlaucht hatte, war die unerträgliche Kälte. Unter anderen Bedingungen wäre die Tour sicherlich weniger anstrengend gewesen. Meine Erkältung war natürlich auch nicht förderlich und ich würde es unter diesen Umständen auch keinem empfehlen.
Die genauen Tourdaten inkl. GPX-Track findet ihr hier:
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Jörg (Montag, 13 August 2018 21:26)
Toll geschrieben und tolle Bilder. Respekt für die Entscheidung, dass Ihr kurz vor dem Gipfel umgekehrt seit. Safety First �
Milla (Samstag, 17 November 2018 21:38)
Eine Wahnsinnsentscheidung so kurz vor dem Gipfel abzubrechen. Hut ab. Wir brachen die Tour im Juli 2017 schon am Festijoch ab. Nach mehreren Spalteneinbrüchen, weil es so warm war, und gesundheitlichen Problemen, wollten wir nicht riskieren, weiter oben ernstere Schwierigkeiten zu provozieren.
Myriam (Dienstag, 01 Januar 2019 20:21)
Hi Milla und Jörg,
vielen Dank für euer Feedback. Ja, Sicherheit geht immer vor und und falscher Stolz ist nie gut. Ich würde mich jederzeit wieder so entscheiden.
Wünsche euch noch viel Spaß auf euren Touren und immer die richtige Entscheidung zu treffen.
Ganz liebe Grüße
Myriam