Auf und Ab der Gefühle
Der für mich emotional härteste Tag, während der Trekkingreise stand mir bevor.
Anfangs konnten wir die wieder einmal fantastische Bergwelt bewundern, doch nach dem Mittagessen wurde alles anders. Mein Mann Micha wurde schlagartig höhenkrank und ich hatte schreckliche Angst um ihn. Zudem mussten wir eine schwere Entscheidung treffen, wie es weiter gehen soll.
Wieder ein Abschied
Wir starteten heute um 08:30 Uhr nach Lobuche. Leider mussten wir heute wieder eine weitere Mitreisende vorübergehend verabschieden. Sie entschied sich nach Pheriche abzusteigen, der Ort, in dem wir in zwei Tagen regulär auf dem Rückweg ankommen würden.
Gleich zu Beginn ging es recht steil den Berg hinauf. Eine Yak-Herde rannte an uns den Berg hinab - wirklich gewaltige Tiere.
Der Tag versprach eigentlich nur Gutes - strahlend blauer Himmel und eine grandiose Sicht auf die umliegenden Berge. Immer wieder drehten wir uns um und blickten auf Dingboche zurück, dass im Tal lag und endlich die wärmenden Sonnenstrahlen abbekam. Auch der Blick Richtung Chhukhung, wo wir gestern waren, war nun frei. Nuptse und Lhotse waren gestochen scharf am Horizont zu erblicken.
Im Gänsemarsch hinterher
Unser zweiter Guide Dil lief heute nicht mit uns. Er lief in seinem nepalesischen Tempo (für uns ist das fast schon joggen) voraus, um in Lobuche eine Lodge für uns zu reservieren. Der Ort ist wohl nicht sehr groß und es ist oft problematisch, hier noch ein Plätzchen zu bekommen.
Also reihten wir uns hinter Jiten, unserem anderen Guide ein und trotteten im gemächlichen Tempo weiter. Wir sollten alle beisammen bleiben und so wurde das Tempo dem Langsamsten angepasst. Es lief gut und wir brauchten keine Pause, was mir sehr gelegen kam. In der Kälte zu warten und zu frieren, ist für mich mit das Schlimmste. Die Sonne täuschte und sicherlich auch euer Blick auf meine Fotos - sieht ja total warm aus, das war es aber überhaupt nicht.
Auf den eigenen Körper hören
Eine wunderschöne Hochebene breitete sich vor uns aus. Nette, kleine Steinhäuschen boten ein tolles Fotomotiv.
In dem Tal, das links von uns lag, konnten wir den Ort Pheriche erkennen, wo mittlerweile hoffentlich Margret angekommen war. Sie war auch stark erkältet, wie leider viele von uns. Ich zog meinen Hut vor ihr und ihrer Entscheidung, so kurz vor dem Everest Base Camp umzudrehen. Sie hörte auf ihren Körper, bevor es möglicherweise zu spät war. In diesen Höhen, ist mit der Gesundheit und einem übertriebenen Ehrgeiz nicht zu spaßen.
Erst mal ne Stärkung, bevor es bergauf geht
Wir kamen an die Ausläufer des Khumbu Gletschers. Über eine kleine Holzbrücke überquerten wir den Gletscherbach und erkannten plötzlich etwas zwischen den Steinbrocken umher flitzen. Erst dachten wir, das kleine flauschige Tierchen sei eine Maus. Es glich aber eher einem Meerschweinchen. Total süß schaute es unter den Steinen hervor und lies sich brav von uns fotografieren.
Unsere Mittagspause legten wir am Fuße des Thokla Pass ein. Kilometermäßig war es nach Lobuche von hier nicht mehr weit, wäre da nicht der 4.830 Meter hohe Pass im Weg. Lobuche selbst, liegt auch auf knapp 5.000 Metern Höhe, was bedeutet, dass wir nach dem Mittag ordentlich bergauf laufen mussten.
Ziemlich schnell ging es auf den Thokla-Pass
Dil, unser Guide, stieß während des Mittagessens zu uns. Er lief also locker-flockig nach Lobuche, reservierte unsere Lodge, stieg den Thokla Pass wieder ab, um ihn mit uns wieder aufzusteigen - so fit wäre ich auch gerne ;-)
Da wir nun wieder zwei Guides hatten, teilten wir die Gruppe auf. Daniel, Micha und ich liefen mit Jiten voraus. Er legte ein ziemlich schnelles Tempo für den steilen Aufstieg voraus. Ich war mir nicht sicher, ob die Geschwindigkeit wirklich jedermanns Sache war, sagte aber nichts und dachte, jeder muss sich selbst zu Wort melden. Mir fiel allerdings auf, dass sich die zwei Jungs deutlich mehr plagten, als es bisher der Fall war.
Alles andere als Gut
Micha gefiel mir gar nicht. Er wurde zusehend bleicher im Gesicht und musste oft stehen bleiben. Mit dem schlechten Gesundheitszustand zogen auch dichte Nebelwolken auf. Als wir auf dem Pass standen, hatten wir keinerlei Aussicht mehr. Es wurde kalt und zugig.
Total viele Gedenktafeln, von verstorbenen Menschen waren auf dem Pass verteilt und ließen mich nachdenklich werden. Micha lehnte sich gegen einen Stein und äußerte sich zum ersten Mal, dass es ihm überhaupt nicht gut gehen würde. Ihm sei übel und er hätte starke Kopfschmerzen, sagte er.
Die letzten Meter sind eine Qual
Die Tabletten die er einnahm, blieben nicht lange im Körper. Kurze Zeit später erbrach er sich mehrmals und wurde innerhalb kürzester Zeit immer schwächer. Oh je, was sollten wir tun? Wir waren irgendwie alle etwas überfordert mit der Situation. Jiten machte sich ebenfalls große Sorgen.
Wir mussten auf alle Fälle weiter nach Lobuche laufen. Dort konnte sich Micha zumindest hinlegen und wir konnten weiter überlegen, was wir tun. Jiten nahm Michas Rucksack und mir blieb nur übrig, die Situation nicht zu dramatisieren und Ruhe auszustrahlen, auch wenn es in mir drin ganz anders aussah. Micha und ich kennen uns jetzt schon so lange und ich wusste genau, dass es mehr war, als "nur" Übelkeit.
Ankunft in Lobuche
Um 15 Uhr kamen wir dann alle gemeinsam in Lobuche an. Ich ging sofort in unser Zimmer und richtete Micha das Bett. Leider waren die Betten nicht zum zusammenstellen und ich konnte ihn nicht wärmen. Unter beiden Schlafsäcken, zwei Decken und mit einer Wärmflasche ausgestattet, lag er nun wie ein Häufchen Elend auf der Pritsche.
Der Gesundheitszustand von Micha wurde immer schlechter. Er bekam eine Art Schüttelfrost und der ganze Körper zitterte abartig stark. Hinzu kam der fürchterlich schnappende Atem, von dem es mir heute noch Angst wird, wenn ich an diesen Tag zurück denke. Auch das Erbrechen hörte nicht auf. Ich hatte fürchterliche Angst um ihn...
Ängste und Sorgen
Neben seinem Bett saß ich in der Hocke und hielt sein Gesicht. Ich wollte nicht gehen, nicht, wenn das Zittern und der Atem ihm weiterhin so zusetzen. Es war bitterkalt im Raum. Alle Decken lagen auf Micha. Ich hielt es nicht weiter aus, spürte meine Hände und Füße vor Kälte überhaupt nicht mehr. Ich musste kurz runter in den Aufenthaltsraum und mich aufwärmen. Tränen liefen mir übers Gesicht, weil ich nicht gehen wollte und die Sorgen immer größer wurden.
So wechselte ich den ganzen Nachmittag und Abend alle paar Minuten den Platz an Michas Seite und dem Aufenthaltsraum.
Abwägen der Alternativen
Der Schüttelfrost hörte endlich gegen Abend auf, aber das schwere Atmen blieb. Wir mussten eine Entscheidung treffen, wie es weiter gehen soll. Mittlerweile war Micha wieder ansprechbar, aber ich wollte ihm nicht zuviel zumuten. Klar war, so konnte er nicht weiter laufen. Zum Glück war er so vernünftig und sagte von sich aus, dass er auf keinen Fall weiter gehen würde.
Welche Alternativen hatten wir also:
- in Lobuche bleiben und auf dem Rückweg in einem Tag wieder eingesammelt werden => das schied aus, denn es war klar, Micha musste tiefer absteigen und am kältesten Ort zu bleiben, ist auch keine gute Idee.
- am nächsten Tag mit dem Pferd nach Pheriche reiten, dem Ort wo die Gruppe nach einem Tag ebenfalls ankommt => insofern gut, da in Pherichte auch Margret war und er Ort mit einer Höhe von 4.240 Metern deutlich tiefer liegt.
Gewissensbisse
Micha entschied sich für die Variante mit dem Pferd. Blieb für mich nur an diesem Abend noch zu klären, wo bekommen wir ein Pferd her. Nach mehreren Gesprächen mit dem Lodgebesitzer, unseren Guides und deren Onkel, der zufällig mit einer anderen Gruppe auch hier nächtigte, hatten wir das Pferd für den nächsten Tag, inklusive Führer gebucht. Mit 200$ ein recht teurer Ritt, aber das war uns egal.
Was sollte ich dann morgen tun? Soll ich mit Micha zusammen umdrehen, oder soll ich einen Tag ohne ihn zum Everest Base Camp und dem Kala Patthar weiter laufen? Ich war hin und her gerissen. Sofort fiel mir ein, wie es mir vor einigen Jahren in Marokko, während des Trekkings erging. Ich hatte damals das Gefühl, mein letztes Stündchen hätte geschlagen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde ich damals ins Krankenhaus gebracht und Micha war immer an meiner Seite. Ich konnte ihn doch jetzt nicht alleine lassen.
Es kullert Tränen
"Du gehst weiter zum Base Camp und hoch zum Kala Patthar, machst viele schöne Fotos und erzählst mir übermorgen davon", sagte Micha. "Du wirst sehen, morgen wird es mir schon besser gehen".
Nach vielen Tränen meinerseits, lenkte ich ein und der Plan stand für morgen fest.
Vom Abendessen bekam ich natürlich keinen Bissen herunter und auch sonst hielt ich es im Aufenthaltsraum nicht aus. Mir schossen ständig die Tränen in die Augen. Ich war so traurig, dass alles auf einmal so kam und ich morgen alleine weiter laufen würde.
Der Versuch zu schlafen
Um mich zu beruhigen, ging ich kurz vor die Türe und lief in der Dunkelheit umher. Es fing leicht an zu schneien. Niemand sonst war draußen und es herrschte eine total ruhige Stimmung. Ich atmete die klare, kalte Luft tief ein und betete, dass es Micha schnell wieder gut gehen würde und wir alle gesund zuhause ankommen würden.
Um 20 Uhr ging ich dann ins Bett.
Eine Stunde später klopfte es an der Zimmertüre. Jiten hatte eine dritte Decke aufgetrieben, die er mir gab. Das freute mich sehr, denn ohne diese Decke hätte ich nie und nimmer in dieser Kälte schlafen können. Er hatte auch Sauerstoff aufgetrieben und meinte, dass Micha diesen nehmen könnte. Das wollte er aber nicht.
Ich lauschte dem Atem von Micha und versuchte zu schlafen.
Den GPX-Track findet ihr hier:
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Joachim (Freitag, 27 April 2018 21:10)
Deine lebendigen Schilderungen, einfach nur gut.
Myriam (Samstag, 28 April 2018 21:07)
Vielen Dank Joachim. Ich erlebe es beim schreiben tatsächlich teilweise nochmal.