Wunderschön und lebensarm
Einfach nur gewaltig, die Aussicht vom Everest Base Camp. Doch bevor wir dort ankamen, stand uns der Weg nach Gorak Shep bevor - wo die letzten Lodgen vor dem Base Camp stehen. Über die Gletschermoräne des Khumbu-Gletschers zieht sich unser Weg. Wir kommen aus dem Staunen gar nicht mehr raus, so überwältigend ist die Bergwelt.
Die Natur ist hier unsagbar schön, aber auch sehr lebensarm. Bewusst wird uns das erst wirklich, als es einem Teilnehmer aus unserer Gruppe sehr schlecht ging - er wurde massiv höhenkrank.
Unruhige Nacht
Ich schlief überhaupt nicht gut. Ständig lauschte ich Michas Atem und war sehr besorgt. Hinzu kam, dass mir bitterkalt war. Durch die dünnen Pressspanplatten, die als Wände dienten, hörte man wirklich alles von den anderen Treckern. Alle 30 Minuten wachte ich auf und schaute auf die Uhr - die Nacht wollte nicht enden.
Um 06:30 Uhr stand ich mit Micha zusammen auf. Ich war total froh, dass es ihm mittlerweile besser ging. Er kam zwar immer noch schnell außer Atem, aber der Schüttelfrost, die Kopfschmerzen und auch die Übelkeit waren vorbei. Wir trafen uns mit Daniel zum Frühstück. Mit ihm und Guide Dill wollten wir heute zum Everest Base Camp laufen. Die anderen hatten keine Lust und schliefen daher etwas länger.
Getrennte Wege
Wie am Tag zuvor besprochen und organisiert, stand das Rescue-Horse schon vor der Lodge und wartete samt Führer auf Micha. Ich fragte ihn nochmals, ob es wirklich okay sei, wenn er alleine nach Pheriche ritt und dort Margret traf, die auch von unserer Gruppe war. "Ja, geh du nur zum Base Camp und auf den Kala Patthar, mach Fotos und erzähle mir davon", sagte Micha, drückte mich, ich bekam wieder mal feuchte Augen und unsere Wege trennten sich von nun an für einen Tag und eine Nacht.
Ich war (und bin es immer noch) so stolz auf ihn, die Entscheidung abzusteigen getroffen zu haben. Es ist so wichtig auf seinen Körper zu hören, bevor es möglicherweise zu spät ist. Ein Ziel aufzugeben ist schwierig und hart, aber manchmal die einzig richtige Entscheidung.
Nette Begleitung
Pünktlich um halb 8 starteten wir Richtung Gorak Shep. Die Aussicht war der absolute Hammer. Noch immer liebe ich es, die Bilder von diesem Tag anzuschauen. Die Klarheit an diesem Tag, die strahlenden weißen 8.000er, genau vor der Nase und zu wissen, es bald geschafft zu haben, machten den Tag für mich besonders. Ich dachte oft an Micha und war traurig, diese Etappe nicht mit ihm gemeinsam laufen zu können.
Daniel und Dill waren aber eine tolle Begleitung und wir hatten echt Spaß. Vor allem als Daniel plötzlich Nasenbluten bekam und einen Tampon von mir wollte, den er sich in die Nase steckte. Dill und ich kugelten uns vor lachen :-)
Ein bisschen Quälerei ist es schon
Auf der gewaltigen Gletschermoräne des Khumbu-Gletschers, liefen wir in stetigem, langsamen Tempo voran. Das Anlaufen strengte uns immer ziemlich an, daher sprachen wir uns im Vorfeld ab und beschlossen auf längere Pausen zu verzichten. Ich war glücklich, voran laufen zu können und meinen Rhythmus zu gehen. Die kurzen Anstiege waren trotzdem jedes mal eine kleine Qual.
Endlich standen wir auf dem 5.110 Meter hohen Lobuche-Pass. Die Sonne wärmte endlich auch langsam ein bisschen und machte das Laufen gleich angenehmer.
Zum greifen nah
Wir kamen super voran. Es machte Spaß, sich auf den Geröllmassen der Moräne fort zu bewegen. Der Weg schlängelte sich mal runter, mal hoch, kreuz und quer durch die Landschaft. Irgendwann standen wir dann tatsächlich so weit oben, um endlich einen Blick auf den Khumbu-Gletscher zu haben.
Die Gletscherzunge ist nahezu komplett mit Schutt bedeckt - wirklich Eis kann man nicht erkennen. Faszinierend ist der Anblick trotzdem, nicht zuletzt auch wegen der gewaltigen Westflanke von Nuptse und Lhotse, an der wir die ganze Zeit entlang liefen. "Ha, so hoch sehen die Berge ja gar nicht mehr aus", scherzten wir. "Sind halt doch noch über 3.000 Meter und zum Everest sogar über 3.800 Meter bis zum Gipfel - nicht gerade ein Katzensprung."
Ist das Eis oder Fels?
Immer wieder erkannten wir, dass wir auf Eis und nicht mehr nur auf Steinen liefen. Das Geröll irritierte ganz schön. Spätestens wenn man ausrutschte, erkannte man das Eis. Ein tolles Bild geben auch die Eiszapfen ab, die mit einer grauen Steinschicht die Hänge hinunter ragen.
Leider nimmt auch der Khumbu-Gletscher, aufgrund der Klimaerwärmung rapide ab. Neuste Forschungen belegen, dass das ewige Eis hier jährlich 2 Meter zurückgeht. Die Folgen sind unter anderem, dass die Pegelstände der Gletscherseen gefährlich steigen. Das Risiko von Dammbrüchen nimmt zu und somit auch die Gefahr von Überschwemmungen der Dörfer der Einheimischen.
Teilstück geschafft - Ankunft in Gorak Shep
Das gibt es doch nicht, wir erkannten tatsächlich Gorak Shep - das letzte Örtchen vor dem Everest Base Camp. In einer super Zeit von 2,5 Stunden waren wir da.
Ich kaufte mir sofort ein wlan-Ticket und schaltete mein Handy ein. Noch keine Nachricht von Micha :-(
Ich machte mir Sorgen und fragte Dill, ob er was mitbekommen hatte. "No, sorry", war die Antwort. Hoffentlich ging es ihm gut. Ich bin kein religiöser Mensch, aber wenn ich Angst habe, bete ich. Das tat ich jetzt auch für Micha und wünschte mir ganz fest, dass er gut angekommen war und bei Tee und Kuchen in der Lodge mit Margret saß.
Way to Everest B.C.
Nach einem kleinen Snack starteten wir im gleichen Team Richtung Everest Base Camp. Meine Lunge brannte zwischenzeitlich ziemlich arg. Ob es von der Erkältung war, die ich fast seit Anfang an mit mir rumschleppte, oder ob es doch von der Höhe kam, konnte ich nicht beurteilen. Die kalte, zugige und trockenen Luft förderte die Genesung auch nicht gerade.
Der Weg wollte einfach nicht enden. Hinter jeder Kurve vermuteten wir das Ziel und wurden jedes mal bitter enttäuscht. Ich wollte es für Micha schaffen und ihm davon erzählen - das spornte mich an. Als dann noch jemand sagte: "noch 30 Minuten, dann habt ihr es geschafft", fühlte ich mich wie neu geboren - naja, fast ;-)
Vom Weg ab
Juhuuuu, das Base Camp ist in Sicht und hinter ihm der gewaltige, berühmt-berüchtigte Ice Fall. Wir waren in den Bann gezogen und liefen automatisch alle Drei schneller.
Dill, unser Guide, kam vom Weg ab und Daniel und ich tappten blind-euphorisch hinter her. Komisch kam es uns dann erst vor, als wir die riesige Gletscherspalte entdeckten, die sich unter uns entlang zog. Jetzt bloß nicht ausrutschen, bei diesem Geröll-Eis-Gemisch. Mir war überhaupt nicht wohl, aber zurück gehen ging jetzt auch nicht mehr. Hoffentlich passierte uns allen nichts. Ich musste an Margret denken, die ihren 19-jährigen Neffen Daniel mit mir los schickte. "Passt bloß auf Daniel auf", hallte es in meinen Ohren.
Ankunft im Everest Base Camp
Keiner kam ins rutschen. Pünktlich um 13:30 Uhr standen wir vor den wehenden Gebetsfahnen des Everest Base Camp - wir haben`s geschafft :-)
Wir blieben eine Weile und genossen die tolle Stimmung. Jeder freute sich hier zu sein, alle lachten und waren happy. Natürlich waren zu dieser Jahreszeit keine Zelte aufgebaut. Auch vom vielen Müll, der hier herumliegen soll und dem ganzen Trubel , sahen wir nichts.
Sprachlos
Die Aussicht auf 5.364 Metern Höhe war der Hammer
(v.l.) Lingtren, (6.749 m) , Khumbutse (6.665 m), Changtse (7.543 m), Lho La (6.026 m), West Shoulder (7.205 m), Mount Everest (8.850 m), South Col (7.906 m), Lhotse (8.414 m) und Nuptse West (7.745 m) alle in einer Reihe und ich stand tatsächlich direkt davor. Wow, mir fehlten die Worte.
Kann man, aber muss man nicht
Zur Everest-Besteigungszeit von April bis Juni sieht es hier vermutlich komplett anders aus. Außer zahlreichen Gebetsfahnen und anderen Treckern, waren wir in der ursprünglichen Bergwelt Nepals und das war auch gut so.
Niemals würde ich zwischen 15.000 und 35.000€ für eine Everest Expedition ausgeben. Man muss nicht alles machen im Leben und manches gehört einfach der Natur (oder, wie viele Sherpas hier glauben, den Göttern).
Ich mag endlich wieder Wärme
Wir machten uns auf den Rückweg und kamen gegen 15:30 Uhr wieder in der Lodge in Gorak Shep an. Ein bisschen platt war ich ehrlich gesagt schon. Was also machen bis zum Abendessen? Richtig, ein Mittagsschläfchen halten.
Das war leider ungemütlicher als gedacht. Ich fror übelst und konnte deswegen überhaupt nicht schlafen. Oh je, wie sollte ich die Nacht über schlafen, wenn es noch kälter werden würde? Leider gab es auch keine zweite Decke. Nach der hatte ich mich nämlich schon gefragt. Und Micha, mein Wärmflaschen-Ersatz war ja leider auch nicht da :-(
Zwischenzeitlich bekam ich übrigens auch eine Nachricht von ihm. Er kam gut in Pheriche an, traf auf Margret und das wichtigste, ihm ging es gut.
Warum tut man das?
Der Rest unserer Gruppe kam auch an. Leider ging es einem Teilnehmer überhaupt nicht gut. Er war nicht mehr richtig ansprechbar und schlief die ganze Zeit. Seine Tochter machte sich große Sorgen. Seine Sauerstoffsättigung lag nur noch bei 50% (normal sind 95-100%). Mir sagte das nicht viel, aber sie war Ärztin und konnte es natürlich beurteilen. Sie erzählte uns, dass ihr Vater jetzt für 2 Stunden Sauerstoff bekommen würde - Kosten 200$.
Oh man, echt krass. Ich hoffte so sehr, dass alles gut gehen würde und keine bleibenden Schäden entstehen würden.
Ich fragte mich ernsthaft, warum ich das alles mache, warum man sich bewusst einem solchen Risiko aussetzt? Ich kann es nicht wirklich sagen - bis heute nicht.
Anstrengung pur für den Körper
Scheinbar ist die Höhe, auf der wir uns befanden (5.140 m), selbst für die Einheimischen schon Kräfte raubend. Die Arbeiter in der Lodge gehen nach 2 Wochen regelmäßig wieder eine Lodge tiefer, um sich zu erholen und steigen dann ein paar Tage später erst wieder auf. Durch das Schlafen und Essen schöpft der Körper unter anderem Energie. Auf dieser Höhe funktioniert dies allerdings nicht mehr. Würde man sich also ewig hier aufhalten, wäre ein Überleben nicht möglich.
Beim Tagebuch schreiben stellte ich fest, dass es mir schwerer fiel, mich zu konzentrieren. Tagsüber merkte ich das nicht. Kopfschmerzen oder Appetitlosigkeit, was auch Anzeichen einer Höhenkrankheit sein können, hatte ich bisher nicht. Trotzdem freute ich mich, bald wieder tiefer zu sein.
Wird es morgen klappen?
Ich ging früh ins Bett. Hoffentlich kann ich etwas schlafen und hoffentlich heizt Daniel unser Lodgezimmer etwas auf. Morgen sehen wir weiter.
Laut Wetterbericht sollte es in der kommenden Nacht -14 Grad geben und um 4 Uhr sollte es los gehen Richtung Gipfel. Durch den starken Wind, fühlt sich die Temperatur bestimmt noch kälter an, dachte ich mir. Ob ich es morgen schaffe würde, den Kala Patthar (5.643 m) zu erklimmen? Gerade fühlte es sich nicht so an.
Den GPX-Track findet ihr hier:
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Sirit (Mittwoch, 30 Mai 2018 17:38)
Hallo Ihr Lieben! Ich hatte Dir, Myriam, bei facebook die Frage gestellt, wie es mit den Menschenmassen aussieht. Danke für Deine ehrliche Antwort dort! Ich finde es dennoch toll. dass Ihr das macht! Und bin gespannt wie es weiter geht! Wenn Ihr mögt und zurück seid, dann gerne mal einen Gastbeitrag schreiben! für meine Seite www.textwelle.de oder für www.juliherzen.de (mein zweiter Blog) ... egal!. Alles Liebe zu Euch!
Myriam (Freitag, 08 Juni 2018 22:35)
Hallo liebe Sirit,
vielen Dank für deinen Kommentar und den kurzen Austausch über Facebook. Juliherzen - "Von starken und lebensbejahenden Frauen geschrieben, um dir zu zeigen, wieviel Stärke auch in DIR steckt." - das hört sich toll an und hat mich neugierig gemacht. Wenn ich mal wieder etwas mehr Zeit habe, würde ich mich sehr freuen, für deinen Blog einen Gastbeitrag zu schreiben. Vielen Dank für das Angebot.
Ich wünsche dir alles Gute. LG Myriam