Kemptner Hütte, wir kommen
Endlich kam der Tag, an dem es mit dem Integrationsprojekt "Gipfelglück" zu den richtigen Bergen ging. Genauer gesagt ging es nach Oberstdorf im Allgäu, um von dort den Anstieg zur Kemptner Hütte zu meistern.
850 Höhenmeter hinauf - für Bergunerfahrene nicht gerade ein Spaziergang. Werden es alle konditionell schaffen? Werden afghanische, irakische, syrische und deutsche Kulturen aufeinander prallen oder werden es harmonische Tage, bei denen jeder von den Fähigkeiten der anderen profitieren kann und sich alle unterstützen?
Mein Herzensprojekt - meine Überzeugung - meine Herausforderung.
Treffpunkt in Steinheim - kommen alle pünktlich?
Ich war wirklich sehr aufgeregt vor diesem Wochenende. Klappt alles so wie ich es mir vorgestellt hatte? Fühlen sich alle wohl? Verletzt sich hoffentlich niemand? So vieles, dass mir durch den Kopf ging.
Die erste Hürde war bereits um 05:45 Uhr geschafft - unsere Uhrzeit für den Treffpunkt in Steinheim. Es kamen alle pünktlich und hatten nichts vergessen. Die Rucksäcke waren gepackt, die Wanderstiefel am Fuß und jeder hatte ein Strahlen im Gesicht, wenn auch noch der ein oder andere etwas verschlafen wirkte (inklusive mir).
Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ging es dann 4,5 Stunden nach Oberstdorf. Bereits auf der Fahrt entstand viel Gelächter und ich hatte ein gutes Gefühl, für die kommenden Tage.
Für viele das erste Mal
Die ersten Berge kamen in Sicht und saftig grüne Wiesen schmückten die Landschaft. "Was für eine schöne Gegend", sagte eine afghanische Teilnehmerin, die mit ihrem Handy an der Zug Scheibe klebte und Fotos machte. "So etwas schönes habe ich noch nie gesehen!"
Ich freute mich total, dass ich diesen Menschen etwas so schönes und einzigartiges bieten konnte. Allein deswegen hat sich der ganze Vorbereitungsaufwand für mich gelohnt.
Ein klein wenig Skepsis
Mit dem Bus ging es von Oberstdorf nach Spielmannsau.
Unsere 18-köpfige, buntgemischte Gruppe fiel gleich auf.
"Was seid ihr für eine lustige Gruppe?", fragten uns drei ältere Damen im Bus. Ich erzählte ihnen anfangs etwas skeptisch von unserem Integrationsprojekt, schließlich wusste ich nicht, wie sie reagieren würden. Leider musste ich aufgrund meiner bisherigen Blogbeiträge zum Projekt und Zeitungsveröffentlichungen auch oft böse Worte in Kauf nehmen. Das hielt mich natürlich nie davon ab, weiter zu machen, aber es regte mich einfach schlichtweg auf.
Nicht aber bei diesen drei Damen - sie waren hellauf begeistert vom Projekt, den Menschen und unserer positiven Energie und wünschten uns alles Gute :-)
Erwartungen
Auf einer Wiese in Spielmannsau stellten wir uns nochmals gegenseitig vor. Einige Teilnehmer waren neu dabei und kannten die anderen noch nicht so gut. "Auf was freut ihr euch besonders und vor was habt ihr die kommenden Tage Angst", wollte ich von allen wissen. Die Antworten waren vielfältig: "Vor einem Gewitter... dass wir vom Berg herunterfallen... dass wir uns in der Gruppe nicht verstehen... dass ich es nicht schaffe... dass wir uns verletzen..."
Auf die gemeinsame Zeit und das intensivere Kennenlernen freuten sich alle einstimmig :-)
Safety first
Regeln und Vorgaben gibt es überall, auch in den Bergen. Ich schilderte das richtige Verhalten in den Bergen, gab eine kleine Sicherheitseinweisung und stellte klar, auf was ich Wert lege.
Dinge wie "lasst keinen Müll rumliegen und nehmt ihn wieder mit ins Tal zurück", "macht bitte keine Fotos während dem Laufen und konzentriert euch. Fotos machen bitte nur wenn ihr sicher steht", "helft und unterstützt euch gegenseitig", "wir laufen in der Gruppe und bleiben zusammen", waren sofort jedem klar und alle nickten mir zustimmend entgegen.
Dann stand unserem Bergwochenende ja nichts mehr im Wege. Voller Euphorie starteten wir also in Richtung Kemptner Hütte.
Wer rastet der rostet
An einer kleinen Kapelle legten wir eine Pause ein. "Oh je, ist es noch weit?", fragten einige. "Da werden wir morgen bestimmt Muskelkater haben".
Meine klassische Antwort darauf: "Muskelkater ist gut, daran merkt man, dass man etwas für seinen Körper getan hat". Alle lachten, wie so oft an diesem Tag. Man spürte förmlich, wie alle ihre Alltagssorgen nach und nach ablegten und mit ihren Gedanken immer mehr im Hier und Jetzt ankamen.
Manche mussten schon ordentlich auf die Zähne beißen
850 Höhenmeter im Aufstieg sind für Ungeübte tatsächlich doch schon eine Herausforderung, vor allem wenn der Planet noch dazu so sticht und einem der Schweiß nur so von der Stirn tropft.
Da tat es ganz gut, dass wir anfangs eher durch den Wald liefen und noch etwas Schatten hatten. Später kamen wir dann zum Glück an ein paar erfrischenden Bächen vorbei, die uns die nötige Abkühlung boten.
Mitgefühl und Respekt
Wir kamen an einer Gedenktafel vorbei. "Was ist das?", fragten mich zwei Mädchen. "Hier ist jemand verstorben und zum Andenken wurde diese Tafel aufgestellt", antwortete ich. Beide Mädchen schlossen sofort ihre Augen, brachten ihre Hände zusammen und beteten für den Verunglückten. Ich fand diese Geste sehr schön und bewegend. Viele anderen Wanderer passierten diese Stelle, ohne vermutlich einen Gedanken daran zu verschenken.
Das gemeinsame Mitgefühl wurde während unserer Tour groß geschrieben, nicht nur bei dieser Tafel. Einige bekamen Schmerzen in den Beinen oder kamen konditionell an ihre Grenzen. Sofort wurde sich gegenseitig geholfen und die Rucksäcke abgenommen.
Wandern verbindet
Wieder kamen während des Wanderns viele Geschichten zutage - lustige Geschichten, aber auch sehr ernsthafte und traurige. Alle hörten interessiert zu und versuchten besser zu verstehen. Das Wandern öffnet, verbindet, macht glücklich und frei - das haben die letzten Tage bewiesen.
Wir kamen auf der Kemptner Hütte an. Natürlich brauchten wir mit 18 Personen für eine solche Strecke weitaus länger als normal üblich ist. Ziel war aber auch nicht, die Etappe in einer Rekordzeit zu bewältigen, sondern sich genügend Zeit für Gespräche, die Natur und das Miteinander zu nehmen.
Das Hüttenleben
Viele waren zum ersten mal auf einer Berghütte - ziemlich ungewohnt, wie sich hier alles verhält. Gemeinsam gingen wir uns von Station zu Station - hier werden die Wanderstiefel abgestellt, diese Hüttenschuhe könnt ihr nehmen, das sind die Lager, so verwendet man einen Hüttenschlafsack, das sind die Waschräume und hier ist unser Tisch für das Abendessen reserviert.
Bis zum Abendessen hatten wir noch ein wenig Zeit. Manche legten sich ein bisschen aufs Ohr, die anderen erkundeten die Gegend um die Hütte, massierten sich gegenseitig den verspannten Rücken, aßen gesammelte Blaubeeren und andere schauten sich in der Hütte genauer um.
Herausforderung Speisekarte
Die Speisekarte für das Abendessen wurde studiert. Was sind Schlutzkrapfen und Leberkäs? Wir versuchten das Essensangebot zu erklären.
Sehr schön fand ich, dass die Teilnehmer auch einfach mal etwas neues probiert hatten. Am Ende war jeder satt und auch etwas müde von der Anstrengung und dem frühen Aufstehen am heutigen Tag.
Hüttenruhe, was ist das?
"Um 22 Uhr ist Hüttenruhe, dass heißt spätestens da müsst ihr im Bett liegen und leise sein", gab ich zu verstehen. "Morgen werden wir um 05:30 Uhr aufstehen, weil ein Gewitter für Nachmittags angesagt ist".
Die gegenseitige Rücksichtnahme klappte bei unserer Gruppe super, ganz anders wie bei anderen Wanderern, wie wir am nächsten Abend feststellen mussten.
Ein gutes Gefühl
Ich war sehr stolz auf alle, wie sie sich verhielten, untereinander und Fremden gegenüber. Meine anfänglichen Sorgen waren komplett unbegründet und ich freute mich mega arg auf den kommenden Tag. Die Besteigung des Großen Krottenkopfes - dem höchsten Berg der Allgäuer Alpen, stand auf dem Plan.
Werden wir es gemeinsam schaffen?
Bleibt gespannt, ich werde euch bald darüber berichten.
Ohne die es nicht möglich gewesen wäre:
Die kompletten Kosten des Projekts, wie Fahrkosten, Verpflegung und Übernachtung wurden durch das "Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft" getragen. Ich hatte mich dort im Rahmen der "500LandInitiativen" um Fördermittel beworben. Ohne diese Fördermittel, hätte ich nicht diese drei Tage in den Bergen nicht gestalten können. Tausend Dank dafür.
Vielen lieben Dank auch an die Firma "Schöffel", die allen Teilnehmern Wanderhosen und T-Shirts sponserte. Ich hatte mehrere Outdoorhersteller angeschrieben und "Schöffel" antwortete prompt. Wir haben uns alle sehr darüber gefreut und fühlten uns sehr wohl in der Kleidung.
Lieben Dank auch an die Firma "Horizonte gGmbH - erlebnisreich lernen", die mir mit Rat und Tat zur Seite standen und sofort eingesprungen sind, als sich mir die Frage der Versicherung und Haftung der Teilnehme stellte.
Und natürlich einen riesen Dank an den "Freundeskreis Asyl Steinheim", die mir mit der Werbung für das Projekt sehr geholfen haben und immer tolle Zeitungsartikel über unsere Wanderungen verfasst haben.
Den GPX-Track findet ihr hier:
Weitere Artikel zum "Projekt Gipfelglück":
Multi-Kulti ist besser als Einheitsbrei - unterwegs auf dem Hardy-Pfad
Wanderlust im Schwäbischen Wald - ein bunt gemischter Haufen
Hinweis zu den Fördermitteln:
Das Projekt wird finanziell vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert. Jegliche Kosten wie die Fahrt, Übernachtung und Verpflegung wurden für alle Teilnehmer übernommen.
Mit dem bundesweiten Programm „500 LandInitiativen“unterstützt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gezielt das Ehrenamt in ländlichen Regionen. Das Programm richtet sich an Initiativen, die sich auf dem Land für die nachhaltige Integration geflüchteter Menschen einsetzen. „500 LandInitiativen“ macht es möglich, wichtige Anschaffungen oder notwendige Ausgaben in überschaubarem Umfang zu tätigen, damit eine ehrenamtliche Initiative erfolgreich arbeiten kann.
Die Initiative ist Teil des Bundesprogramms Ländliche Entwicklung. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt lobte die Tatkraft: „Zusammenhalt und Engagement sind für mich das Herzstück und die besondere Stärke des ländlichen Raumes.“ Das zeige sich vor allem in der hohen Integrationskraft auf dem Land. Mit „500 Landinitiativen“ trage sein Ministerium zur Integration von Flüchtlingen in die Dorfgemeinschaft bei und fördere zudem den Zusammenhalt in kleineren Kommunen.
Kommentar schreiben
Ugurcan Oktaylar (Dienstag, 05 April 2022 19:50)
Eine tolle Idee und ein super Projekt. ��