Von der "Chata pri Zelenom plese" zur "Zbojnícka chata"
Was für ein mega Tag, der uns heute bevorsteht. Auf wirklich abenteuerlichen Wegen sind wir den kompletten Tag unterwegs und kommen erst zum Sonnenuntergang auf der "Räuberhütte" an.
Überwiegend kletternd bewegen wir uns heute vorwärts beziehungsweise aufwärts. Das ist definitiv nichts für schwache Nerven, so ausgesetzt und ungesichert auf rutschigen Steinen herum zu kraxeln. Mir ging schon auch das ein oder andere mal ziemlich die Düse. Vor allem als wir ein sehr steiles Schneebrett überqueren mussten.
Zur Mittagszeit wurden wir mit gutem Essen auf einer absolut traumhaft gelegenen Hütte belohnt. Ich würde fast sagen, dass ich bisher keinen schöneren Hüttenplatz gesehen habe. Doch seht selbst...
Der Tag wird gut
Kein beengender Hüttenschlafsack sondern richtige Bettwäsche, noch dazu eine Heizung im Zimmer, was soll ich sagen, ich hab geschlafen wie ein Baby :-)
Als ich dann noch das üppige Frühstücksbuffet sah, mit frischem Obst und Gemüse, gekochten Eiern, Müsli und Brötchen, war mir klar - der Tag wird gut. Erwartet hätte ich so ein Buffet nicht und natürlich hätte ich mich auch mit weniger zufrieden gegeben, aber toll war es natürlich schon und ich fühlte mich absolut fit für die anstehende Etappe.
Ein Gruppenfoto mussten wir vor der schönen Hütte noch kurz schießen und Hüttenhund Bruno gesellte sich ganz selbstverständlich auch dazu. Fertig bepackt starteten wir pünktlich um 8 Uhr Richtung See.
Sechs Männer und ein Angsthase
Morgendliche Nebelschwaden durchzogen die Büsche und Sträucher und ließen mich im T-Shirt etwas frösteln. Das sollte allerdings bald vorbei sein - zwischen drin blitze bereits der blaue Himmel hervor und warm würde es mir sicherlich gleich beim Aufstieg werden.
Von hier unten sah die steile Rinne die wir hoch mussten unüberwindbar aus. Ich dachte wirklich, unser slowakischer Bergführer Samuel verarschte uns. "Fast 1.000 Meter müssen wir hier hoch", sagte Samuel und setzte wieder sein typisches Grinsen auf. Ich glaube ihm machte es Spaß uns leiden zu sehen ;-)
Unsere sieben-köpfige Gruppe war ganz unterschiedlich:
Marcel und Micha, die beiden Brüder waren beide bereits sehr bergerfahren und sie konnte nichts wirklich abschrecken. Die beiden Kumpels Flo, bisher nicht so sehr in den Bergen unterwegs und Andi, der sich wacker schlug und immer ein Auge auf Flo hatte. Micha und ich, beide auch bergerfahren. Wobei mich der Anblick von schwierigen Stellen bereits beim Anschauen ziemlich schnell aus der Ruhe bringen kann und mir den Angstschweiß ins Gesicht treibt. Und natürlich unser slowakischer Guide Samuel, für den alles ein Kinderspiel darstellte und es das Wort "gefährlich" in seinem Sprachgebrauch überhaupt nicht gab.
Nicht schwierig, nur bisschen
Da standen wir nun, vor der überwältigenden Wand aus Granit, die senkrecht über uns empor ragte. Hier und da lag noch etwas Restschnee und die Wasserfälle und kleine Bäche rauschten an uns vorbei. "Wo ist denn hier der Weg?", fragte ich etwas unsicher.
"Wirst du gleich sehen, ist nicht schwierig, nur bisschen", war die Antwort von Samuel. Noch konnten wir seine Aussagen nicht richtig interpretieren. Ab dem nächsten Tag war uns dann allen klar, dass der Zusatz "nur bisschen" nach "nicht schwierig" bedeutete:
sehr schwierig und gefährlich
Ok, packen wir's an. Es hilft ja alles nichts und wir müssen irgendwie über diese Scharte drüber. Ich prüfte den Stein und stellte schnell fest: "fuck, ist der rutschig!"
Über die kompletten Felsen zogen sich leuchtend grüne Geflechte. Die sahen zwar toll aus, in Kombination mit der feuchten Luft, entwickelten sie sich allerdings zur Rutschbahn.
Nicht nach unten schauen
Stück für Stück kletterten wir nach oben. An manchen Stellen hingen lose Ketten herunter. Zumindest konnte man sich an denen ein bisschen hinauf ziehen. Vorsichtig musste man trotzdem sein, denn auch die Ketten waren nass und rutschig. Noch dazu waren die Felsen nicht wirklich fest - immer wieder rasselte Geröll und kleinere Steine an uns vorbei. Der Schnee der an manchen Stellen noch lag, machte die Sache auch nicht gerade einfacher.
ABER...es machte mir wirklich unheimlich Spaß. Wir hatten ein gutes Tempo und ich fühlte mich nicht gehetzt und sicher. Samuel wartete immer wieder auf uns, zeigte uns gute Griffe und Tritte und war sehr auf unsere Sicherheit bedacht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, kamen wir oben an um dann schnell festzustellen, das wir doch noch lange nicht oben waren.
Wird schon halten
Auf geht's zum nächsten Stück, das wir durchgehend kletternd überwinden mussten. Puhhhh und dieses Stück war noch länge als das Erste. Verbogene Leitern und teilweise Stahlstifte waren im Fels, von denen man nicht wirklich wusste, ob sie halten. Vergleichbar war der Weg mit einem Klettersteig der Schwierigkeit B, einzelne Stellen vielleicht sogar C. Hört sich jetzt nicht so dramatisch an, aber es war halt rutschig und teilweise sehr, sehr ausgesetzt und wir waren nicht gesichert.
Mittlerweile war es doch ziemlich kalt und ich war froh um meine Handschuhe, die meine von den Metallketten und Leitern kalte Finger wärmten. Das Wetter kann hier in der Hohen Tatra rasant umschlagen, daher sollte man für alle Wetterlagen gewappnet sein.
Schau mal zurück
Die Kletterei hatten wir jetzt erstmal hinter uns. Über viel Geröll ging unser Weg immer noch steil nach oben. Wir überquerten Schneefelder und hatten einen imposanten Anblick zurück ins Tal aus dem wir kamen. Dicht hing dort eine Wolkendecke und verwandelte das Tal in ein weißes Meer.
Unsere Gruppe war mittlerweile etwas auseinander gezogen. Da wir trotzdem noch gut in der Zeit lagen, störte es mich nicht. So konnte ich zumindest ausgiebig fotografieren und die Landschaft genießen, was aufgrund des schwierigen Wegs oft während des Laufens nicht möglich war.
Vorsicht ist besser als Nachsicht
Die nächste Herausforderung wartete schon auf uns. Ungläubig schauten wir alle auf das Schneefeld, das vor uns lag. "Da möchte ich nicht ins Rutschen kommen", kam es gleich aus mir aus. Der feuchte Schnee sah auch nicht gerade stabil aus. Samuel erkannte wohl meine Unsicherheit und meinte dann nach einer Überlegung:
"ich spanne ein Seil wo ihr euch festhalten könnt."
Das fand ich einen guten Vorschlag und war gleich beruhigt.
Er ging alleine drüber - Slowaken kennen keine Angst ;-) wickelte das Seil um einen Felsen und winkte uns zu, einzeln zu kommen. Ich machte den Anfang und war trotz Seil etwas unsicher. Wird sein locker gespanntes Seil auch wirklich halten, wenn ich falle und vor allem, kann ich mich dann auch wirklich halten?
Ich war drüben und war erleichtert. Nach und nach kamen die Anderen. Am Ende gab es dann doch einen Sturz und wir alle waren froh, dass Samuel das Seil gespannt hatte.
Schnee oder Fels - die Qual der Wahl
"Hier oben auf der Bergspitze könnt ihr die berühmte Seilbahn auf die Spitze Lomnicky erkennen", erklärte uns Samuel, während wir ein wenig ausruhen konnten.
"Diese Seilbahn war in den 30./40. Jahren sehr berühmt, weil sie den höchsten Höhenunterschied weltweit überbrückte. Die Schweizer hatten diesen Rekord dann später überboten."
Wir waren wieder alle versammelt und konnten den Entspurt auf die Scharte wagen. Dabei scherten wir vom Schnee rechts hinaus auf den Felsen und kletterten dann das letzte Stück querfeldein nach oben. Flo wühlte sich durch den Schnee, weil er sich dort sicherer fühlte. Seinen Flüchen nach zu urteilen, weiß ich nicht, was der bessere Weg war. Aber das wichtigste, wir kamen alle wohlbehalten oben an.
Die Scharte ist erreicht
Was für einen bombastischen Blick wir doch von hier aus hatten. Ich weiß noch wie ich damals sagte: "ich glaube ich habe noch nie eine schönere Landschaft gesehen".
Unter uns lagen mehrere Seen in denen sich die Wolken spiegelten und dahinter ragten schwarte, zackige Felsen empor, die fast schon etwas bedrohlich wirkten. Und das beste:
wir saßen endlich in der Sonne und waren aus dieser kalten, schattigen Scharte draußen.
Wer hoch geht muss auch wieder runter - so auch wir. Auch wenn es konditionell weniger anstrengend war, konzentrieren mussten wir uns trotzdem, um auf dem steilen Geröll und den Kraxelstellen nicht abzurutschen. Am See konnten wir schemenhaft bereits die Hütte erkennen. Mit einem Ziel im Blick läuft es sich gleich viiiiiieeeel besser :-)
Willkommen auf der Téryho chata
Wow, was für eine absolut traumhafte Lage für eine Hütte!!! Die Téryho chata liegt auf 2.015 Meter Höhe direkt an einem von drei wunderschönen Seen, an dessen Ufer sich glatte Felsen befinden, die zum drauf rum lümmeln einladen. Wir entschieden uns dann doch für einen gemütlich Platz auf einer Bank in der Sonne, genossen den Ausblick ins Tal und vor allem unsere leckeren Germknödel mit Butter, Mohn und richtig viel Kakao oben drauf. Ihr müsst unbedingt in der Fotogalerie unten den Germknödel anschauen - da läuft euch das Wasser im Munde zusammen, versprochen.
Die Hütte an sich war total urig. Es gab keine Klospülung, sondern lediglich einen Wassereimer zum rein schütten. Ich mag solche einfache Berghütten und diese war ganz besonders toll und sehr, sehr sauber. Schade, dass wir hier nicht nächtigten und noch ein Stück weiter mussten.
Gibt es hier auch leichte Wege?
Nach einer guten Stunde Pause mussten wir uns schweren Herzens von diesem besonderen Ort losreisen. Wir hatten noch ein ordentliches Stück Weg vor uns. Mäßig steigend, auf einem gut ausgebauten Weg, umgeben von Gämsen die uns neugierig beobachteten, liefen wir genüsslich mit vollem Magen weiter. Ich freute mich über den gemächlichen, nicht schwierigen Weg und konnte meinen Gedanken in aller Ruhe nachhängen. So kann es jetzt bis zur Hütte ruhig weiter gehen.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Samuel wieder auf eine Scharte zeigte. "Da müssen wir hoch - nicht schwierig, nur bisschen", lautete seine Gefahrenbeurteilung. "Hier bin ich im Winter mit Skiern runter gefahren. Musste 10 Meter Sprung machen. War gut", erzählte er trocken.
Oh je, das sieht ja übel aus, schoss es mir gleich durch den Kopf. Ich war schon ziemlich platt und da soll ich jetzt auch noch hoch?
Klettern am laufenden Band
Begleitet von Flüchen und Rülpsern der Anderen (ich will es nochmal anmerken, ich war nur mit Männern unterwegs), gingen wir wieder ins Klettern über. Fast zwei Stunden bewegten wir uns ausschließlich kletternd, ohne Sicherung, am ausgesetzten Fels empor. Das machte echt müde, weil man sehr konzentriert sein musste und der Vormittag ja schon genauso ablief. Aber immerhin waren wir in der Sonne, was ich tausendmal angenehmer empfand.
Als wir auf der Scharte ankamen, veränderte sich das Licht der Sonnen bereits ein wenig. "Wir müssen uns ein bisschen beeilen, dass wir pünktlich zum Abendessen auf der Hütte ankommen", drängte uns Samuel.
Ein Job mit Tradition
Die Hütte hatten wir lange Zeit nicht im Blick, da sie in einer Senke liegt. Die Zbojnicka chata wird auch Räuberhütte genannt, erklärte uns unser slowakischer Bergführer. Sie wird ausschließlich von Trägern beliefert, die hier auch Sherpas genannt werden. 50-60 Kilogramm tragen sie von der 3,5 Stunden entfernten Seilbahnstation hier her. Meist handelt es sich dabei um Studenten. Die machen das aber nicht des Geldes wegen (man bekommt dafür nämlich kein Geld), sondern weil sie es einfach cool finden, diese alte Tradition aufrecht zu erhalten. Die meisten von ihnen laufen 2x täglich hin und zurück, erzählte Samuel weiter.
Mhhh, da wäre ich mal gespannt wer das bei uns ohne Geld machen würde?
Geschafft, die Hütte ist in Sicht
Um Punkt 17 Uhr erreichten wir die Zbojnicka chata, körperlich echt platt, ziemlich müde, aber überwältigt von der schönen Landschaft und den abenteuerlichen Wegen am heutigen Tag. Zusammen mit drei Israelis waren wir heute die einzigen Gäste auf dieser Hütte. In der Hauptsaison ist es hier richtig voll, meinte Samuel. Bis zu 6 Monate im Voraus muss man sich einen Übernachtungsplatz reservieren. Ich mochte die Hütte sehr, wegen ihrer Einfachheit. Toiletten gab es im Haus keine, diese befanden sich außerhalb - da kommt richtiges Hochgebirgshütten-Feeling auf ;-)
Die anfangs etwas klein wirkende Portion gebackener Käse mit Kartoffeln machte dann doch satt und wir alle waren glücklich und zufrieden. Verborgene Talente entdeckten wir, als Micha Klavier- und Marcel Gitarrespielen anfingen. Da muss man erst auf eine Berghütte kommen, um zu erfahren, dass diese beiden Brüder wahre Musiktalente sind. So klang der Abend mit schöner Musik und weniger schönem Gesang aus :-P
Toureninfo
Kilometer: 8,5km
Höhenmeter Aufstieg: 1.150m
Höhenmeter Abstieg: 735m
Dauer: ca. 6h
Hinweis: der GPX-Track entspricht nicht zu 100% unserer Route. Diese ist nur mit einem einheimischen Bergführer begehbar.
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Vera (Samstag, 21 Mai 2022 14:56)
Ich habe mit Freude deinen Beitrag hier gelesen. Könntest du vielleicht einmal verraten, in welchem Monat du diese Tour gemacht hast?
Vielen lieben Dank und liebe Grüße
Myriam (Dienstag, 07 Juni 2022 16:26)
Hallo Vera,
wir waren damals Anfang Oktober in der Hohen Tatra unterwegs.
Liebe Grüße
Myriam