Unser Event 2020 brachte uns auf die Ludwigsburger Hütte im Pitztal
Dicke Regentropfen prasseln auf den Boden und verwandeln den Weg in einen kleinen Bach. Nebelschwaden ziehen durch die Täler, lassen uns kurz einen Blick auf die Berge erhaschen, ehe sie sich zu einer grauen Wand verdichten. 14 Personen unterschiedlicher Herkunft machen sich auf den Weg hinauf zur Hütte - das schlechte Wetter kann uns nichts anhaben, denn im Herzen tragen wir eine riesen Portion Sonnenschein und gute Laune.
Mit unserer Integrationsgruppe "Wanderglück", planen wir einmal im Jahr ein ganz besonderes Highlight. Dieses Jahr sollte es nach 2 Jahren endlich mal wieder in die Berge gehen. Was wir erlebt haben, kannst du hier nachlesen.
Glückliche Wendung
Irgendwie sollte unsere diesjährige Ausfahrt unter keinem guten Stern stehen. Corona ließ uns lange Zeit bangen, ob die Hütten auch wirklich öffnen durften. Das schlechte Wetter war dann die eine Seite, die andere zeichnete sich zirka vier Wochen vor der Abfahrt ab:
Unser Projekt ist komplett aus Spenden finanziert. Da wir die Kosten so gering wie möglich halten wollten, war unser Plan, mit privat PKW`s als Fahrgemeinschaft ins Pitztal zu fahren. Kurzfristig bekamen zwei unserer Fahrer keinen Urlaub und wir mussten auf die Bahn umsteigen. Zusätzliche Kosten im dreistelligen Bereich kamen plötzlich auf uns zu, mit denen keiner gerechnet hatte. Wo soll ich dieses Geld nun auf die Schnelle her bekommen? Ganz ehrlich, ich war ziemlich am Ende und hoffnungslos.
Als sich dann innerhalb weniger Stunden vier Personen zum Spenden bereit erklärten, schöpfte ich neuen Mut. An dieser Stelle ein super-mega-riesiges DANKESCHÖN an das Steinheimer Lädtle, den Freundeskreis Asyl Steinheim und die vier Spender, die sofort eingesprungen sind und den Differenzbetrag übernommen hatten. Ohne euch hätte ich unser Event definitiv absagen müssen.
Unser Abenteuer beginnt
Unser Abenteuer startete pünktlich um 6 Uhr in der Früh in Steinheim an der Bushaltestelle. Zum Glück klappte mit der Bahn alles und so kamen wir nach 7,5 Stunden Fahrt in Imst im Pitztal an. Bereits auf der Zugfahrt konnten wir die umliegenden Berge und die saftig grünen Almwiesen bewundern. Es freute mich zu sehen, wie jeder fasziniert mit seiner Nase an der Scheibe klebte und sich an der Landschaft erfreute.
Trockenen Fußes stiegen wir in den Bus, der uns nach Zaunhof brachte. Pünktlich zum Aussteigen setzte dann der angekündigte Regen ein, der die nächsten drei Tage auch nicht aufhören sollte.
Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft live erleben
Normalerweise sind wir mit unserem Integrationsprojekt "Wanderglück" mit Einheimischen und Geflüchteten in unseren heimischen Wäldern unterwegs. Da ist es dann nicht so schlimm, wenn die Wanderausrüstung bestehend aus Rucksack, Schuhen und Kleidung nicht zu 100% passt.
Hier in den Bergen, noch dazu bei diesem schlechten Wetter, ist es schon von Vorteil. Regenjacken, geschweige denn Regenhosen, hatten nicht alle. Wanderstiefel hatten zum Glück die meisten. Da wir wegen Corona auch noch Schlafsäcke mit zur Hütte nehmen mussten, passten diese nicht mehr bei allen in den Rucksack. Mit Tüten und Taschen bepackt, konnten wir unmöglich starten. Die Hände sollten schon bei jedem frei sein und zumindest die Schlafsäcke und Wechselkleidung trocken oben ankommen. Schnell erklärten sich die mit den größeren Rucksäcken bereit, die Dinge für die anderen mit zu tragen. Genau das ist es, was ich an diesem Projekt so liebe - man muss nicht künstlich Situationen schaffen um Zusammenhalt zu stärken, er kommt ganz von allein.
Aussicht genießen und festhalten
Zur Ludwigsburger Hütte gelangt man entweder über den Fahrweg der Forststraße oder über den steilen Waldweg. In knapp 2,5 Stunden hat man dann sein Ziel erreicht.
Wir entschieden uns für den Waldweg. Über einen schmalen Pfad schlängelten wir uns hintereinander nach oben. Immer wieder gab es tolle Aussichtspunkte mit einem fantastischen Blick ins Tal, die wir gerne zur Pause nutzten. Voller Euphorie wurde fotografiert und posiert - wir kamen einfach nicht weiter ;-)
Zum Glück hatten wir genügend Zeitpuffer bei der Planung eingebaut. So konnten wir Jeder und Jedem genügend Zeit schenken, um diese besonderen Augenblicke zu genießen und festzuhalten.
Keine Unterschiede, alle sind gleich
"Mein Herz schlägt so schnell", sagte eine Teilnehmerin. "Ich merke jetzt, dass ich dringend mehr Sport machen muss", meinte eine andere. Einige hatten mit dem Aufstieg ganz schön zu kämpfen.
"Gib mir deinen Rucksack", kam ein Teilnehmer gleich zur Hilfe. "Mir kannst du auch einen geben", sagte der Nächste und so ging es grad weiter. Nein - doch - nein - doch - ok vielen Dank... so ging es eine Weile hin und her. Es brach regelrecht eine kleine Diskussion der Hilfsbereitschaft aus, weil jeder unterstützten wollte. Besser so als anders, dachte ich lächelnd :-)
Auf den rutschigen und etwas schwierigen Stellen wurde sich wieder ganz automatisch und selbstverständlich die Hand gereicht, so wie ich es nun 2,5 Jahre, seit es das Projekt gibt, gewohnt bin. Es wird kein Unterschied gemacht, zwischen weiß oder farbig, männlich oder weiblich, deutsch oder ausländisch und das freut mich jedes mal auf's neue.
Die wunderschöne Ludwigsburger Hütte ist erreicht
Pitschnass aber glücklich, kamen wir auf der Ludwigsburger Hütte an. Bereits von der Außenansicht der Hütte waren alle begeistert. Hüttenwirtin Anja begrüßte mich und erinnerte sich tatsächlich noch daran, dass ich vor 2 Jahren mit einer Jugendgruppe hier war (hier gibt's den Artikel von damals) - das freute mich echt riesig.
Wir bekamen unsere Lager und waren fast die einzigen Gäste an diesem verregneten Wochenende. "Das ist soooooo schön hier - wie in einem Hotel", strahlte eine junge, afghanische Frau.
Unsere nächste Herausforderung war die Essen-Bestellung. Spinatknödel, Hütten-Burger, Kaiserschmarren... wie sollte ich diese und andere Gerichte beschreiben? Keins der Gerichte war jemals auf dem Teller der ausländischen Teilnehmer/innen. Jedes mal ist es für mich ein Spaß, die Gerichte zu erklären. Die Spannung steigt...mögen sie das Essen???
Genuss auf der Hütte
... ein ganz klares JA. Alle mochten das Essen, was auf der Ludwigsburger Hütte wirklich auch außerordentlich gut ist. Werft unbedingt einen Blick in die Bildergalerie unten, dort seht ihr den Hütten-Burger und die Ofenkartoffeln, die nicht nur eine Augenweide sind, sondern auch köstlich schmecken.
Nach ein paar Runden Karten spielen, ging es dann auch recht früh ins Bett. Wir waren ja schon früh wach und die Müdigkeit war dem ein oder anderen anzusehen.
Ein Alternativprogramm muss her
Der nächste Morgen war noch verregneter als der Tag davor. Von den Bergen war nichts mehr zu erkennen - wir blickten einfach nur ins graue Nichts. Den Hohen Gemeindekopf, unser Gipfelziel des heutigen Tages, werden wir uns wohl abschminken können, dachte ich traurig. Zu gerne hätte ich allen das einmalige Erlebnis gegönnt, auf einem Berggipfel zu stehen.
Erstmal frühstückten wir ausgiebig zusammen und warfen einen Blick auf die Wetterprognose des heutigen Tages: Vormittags Gewitter, Nachmittags Gewitter und den kompletten Tag durchgängig Regen. Das sind leider keine guten Aussichten.
Auch der Hüttenwirt bestätigte uns, dass wir den Gipfel heute nicht machen sollen. Statt dessen empfahl er uns den Panorama-Weg um die Hütte. "Wir wollen heute auf jeden Fall ein bisschen laufen, auch wenn es regnet", meinten alle einstimmig. "Also dann, packt eure Sachen und los geht's."
Die gleichen Bedürfnisse
Wir organisierten auf der Hütte noch ein Paar Regenschirme und stapften mit diesen durch den Regen.
"Die Natur ist einfach wunderschön",
"Hier kann man richtig gut entspannen, das brauche ich gerade dringend",
"Ich genieße es drei Tage ohne Handy zu sein"...
waren nur einige Aussagen, die wir immer wieder hörten.
Eigentlich ist es so einfach - Handy aus und raus gehen ;-)
Nur irgendwie bekommen wir das im Alltag immer weniger hin (ich eingeschlossen). Jeder hat in dieser schnelllebigen Zeit das gleiche Bedürfnis, das stelle ich immer wieder fest - ganz egal welcher Nationalität und welchen Alters.
Habt ihr schon mal Kaiserschmarren probiert?
Nach einer kurzen Runde waren wir um die Mittagszeit wieder bei der Hütte angekommen. "Was ist ein typisches Essen für Österreich?, wollte einer wissen. "Kaiserschmarren", war meine Antwort. Das wollten natürlich dann auch einige probieren und es schmeckte ihnen sehr gut. Es freute mich, wie offen alle waren und sich auch auf etwas Neues, Ungewohntes einließen, nicht nur beim Essen.
Was fangen wir jetzt mit dem Nachmittag an? Die Spielekiste wurde durchstöbert. UNO und Mensch ärgere dich nicht, stellen sich als die perfekten Spiele heraus, gerade wenn die Deutsch Sprache nicht bei jedem so gut war.
Mädels-Nachmittag
Wir Mädels legten uns in unser Lager und quatschten einige Stunden. Es waren wirklich sehr schöne, intensive und vertrauensvolle Gespräche und ich spürte, dass bestimmte Themen den jungen Frauen sehr wichtig waren. Es tat uns allen gut, darüber zu sprechen und ich freute mich sehr, dass sie meine Meinung hören wollten.
Viel zu lachen gab es bei dem Thema "Aufgabenteilung im Haushalt". Eine Aussage muss ich euch einfach aufschreiben, weil ich es sooooo lustig fand.
"Ich finde es gut, wenn nur die Frau in der Küche steht und kocht und der Mann es nicht gelernt bekommt", sagte eine syrische und wie ich finde sehr selbstbewusste junge Frau. "Wenn der Mann blöd zur Frau ist, kann sie ihn erpressen und ihm einfach nichts mehr kochen."
Wir brachen in schallendes Gelächter aus - so hatte ich das ganze bisher nicht gesehen :-)
Unser Papa
Ganz besonders freut ich mich über einen Teilnehmer, den wir liebevoll "Papa" nannten. Bei unseren Wanderungen in Steinheim, ist er der einzige Teilnehmer, der wirklich jedes mal dabei war. Beim Jahres-Event nehmen wir, anders als bei den heimischen Wanderungen, nur Teilnehmer einer bestimmten Altersklasse mit. Da das Event mit Kosten verbunden ist und eine größere Verantwortung meinerseits besteht, ist die Teilnehmerzahl außerdem begrenzt.
"Unser Papa" durfte mit über 60 Jahren daher eigentlich nicht mit in die Berge. Am Vortag gab es allerdings kurzfristig Absagen und so erhielt er Donnerstags um 22 Uhr die Mitteilung, am Freitag dabei sein zu können. Ich war gespannt, ob er kam. Tatsächlich stand er am Freitag früh mit in Steinheim an der Bushaltestelle und wir freuten uns alle, dass er dabei war.
Obwohl er so gut wie kein Deutsch sprach, war er mit Leib und Seele dabei. Er kümmerte sich rührend um alle Teilnehmer, half an kritischen Stellen, genoss die Natur in vollen Zügen, posierte auf Fotos genauso wie wir, brachte uns so oft zum Lachen und all das ohne Worte.
Was wären wir ohne Männer ;-)
Sonntags hieß es dann leider wieder zurück nach Steinheim. Wir nahmen dieses mal den Fahrweg um hinunter ins Tal zu kommen. Der Weg war nicht weniger schön. Wir kamen an zahlreichen Wasserfällen vorbei und mussten wieder viel Zeit für Fotostops einplanen.
An einem kleinen Bächlein hatten wir wieder viel zu lachen. Fast alle aus unserer Gruppe kamen gut über das Wasser - der Bach stellte also kein Problem dar.
Da schleppten die Jungs auf einmal Steinbrocken und warfen sie ins Wasser. "Was macht ihr da?", fragten wir. "Wir bauen eine Brücke zum drüber laufen", kam als Antwort.
Belustigt schauten wir Mädels der Baukunst zu und hingen unseren Gedanken nach. "Männer machen immer Dinge, die keiner brauch", platzte es auf einmal aus einer Teilnehmerin heraus. "Sie sind wie Kinder." Wieder schallte unser Gelächter - wir hatten alle wirklich zu 100% das gleiche gedacht ;-)
Glücklich und zufrieden
Pünktlich zur Ankunft im Tal und dem Ende unserer Tour, lichtete sich der Nebel und blauer Himmel blitzte durch die Wolken. Sicherlich hätte mich das echt geärgert, wäre ich privat hier in den Bergen gewesen. Nicht so heute - ich blickte in lauter glückliche Gesichter. Alle waren zufrieden, hatten viel erlebt, viel über sich und andere erfahren, neues gewagt, gemeinsam Spaß gehabt und sicherlich viele neue Erkenntnisse mitgenommen.
Am Bahnhof in Imst gab es dann noch eine Überraschung - Pizza für alle. Für die lange Zugfahrt waren wir also gestärkt.
Von Herzen ein ganz großes DANKESCHÖN
Vielen Dank an diese tolle Gruppe, an euch wundervolle Menschen. Ihr macht all die Vorbereitungsarbeit und den Stress vergessen. Ich bin so wahnsinnig gerne mit euch unterwegs, habe mich sehr über neue und altbekannte Gesichter gefreut. Es ist für mich jedes mal auf's neue spannend und bereichernd, eure Geschichten und Ansichten zu erfahren. Auch ich nehme jedes Mal so viel wertvolles aus diesen Tagen und unseren Wanderungen mit.
Danke für
euer Vertauen,
euer leuchten in den Augen,
eure Offenheit und Herzlichkeit.
Du möchtest auch den Spirit unserer Gruppe erleben? Dann sei bei unserer nächsten Wanderung in Steinheim, mit Geflüchteten und Einheimischen mit dabei. Schreib mir einfach kurz, wenn du Interesse hast: Myriam.Steng@gmx.de
Wir freuen uns auf dich :-)
Für unser Jahres-Event freuen wir uns sehr über Spenden. Ohne diese, ist das Event leider nicht möglich. Auch hierzu kannst du mich gerne kontaktieren.
Ein Video gibt es auch von unserem Event:
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Was haltet ihr von unserer Art, Integrationsarbeit zu betreiben?
Schreibt mir gerne in den Kommentaren.
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